Kunsthaus Orplid


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www.alinde.de
Rede von Elmar Zorn

Meine Damen und Herren,
es ist schon schwer genug sich verständlich zu machen mit dem Wort „Pan“, zwischen Peter Pan und Paneuropa. Denn wer liest denn noch Ovid? Aber „Faune“, in der korrekten Einzahl „Faunus“, die altrömischen Kollegen des griechischen Pans seit dem augusteiischen Zeitalter? Wir gebrauchen nur noch das Wort „Fauna“, geborgt von der Gattin von Faunus zwecks Spezifizierung der Tierwelt. Während also „faunisch“ als ein etwas altmodisches Wort ist für eine übersteigerte, permanente sexuelle Bereitschaft, die sich in Nachstellungen ausdrückt und eben nicht sublimiert auftritt, so dass es mit dem geläufigeren Wort „geil“ nicht ganz falsch übersetzt ist, muss man sich hüten, einen „Faunisten“ als „geilen Bock“, denn bei diesem wiederum handelt es sich um einen an der Tierwelt interessierten Forscher, also an der Wissenschaft orientiert, nicht an der Sodomie.
Um den Titel dieser Ausstellung besser zu ergründen, halten wir uns an den Untertitel: „Ahnung und Gegenwart“. Aha, ein Zitat. Gebildete Leute, die wir hier alle sind, erkennen wir den Titel eines Romans von Joseph von Eichendorff. 1815 geschrieben, sein erster Roman, nach dem Vorbild von Goethes „Wilhelm Meister“, gilt er als das romantische Literaturwerk par excellence, mit seiner Mischung von Selbstbekenntnis und Selbstfindung, ein Entwicklungsroman mit Zeitkritik und Heilsgeschichte. Das klingt nach Biedermeier und betulich. Allerdings sieht man diesen Autor heute eher in einem anderen Licht: als einen kritischen, zuweilen rätselhaften Utopisten. Da der Eichendorffsche Titel noch entfernt in unseren Köpfen spukt, können die beiden Künstlerinnen dieser Ausstellung, die Photographin Erika Drave und die Malerin, Zeichnerin und Bildhauerin Alinde, sich seiner gut bedienen, um gleich klar zu machen, dass sie es so bierernst und schwerblütig mit dem lüsternen Faun nicht meinen, sondern eher ironisch-leicht, so halt wie Eichendorffs leichtsinniger Außenseiter, der „Taugenichts“.
In München ist es einfach einem Faun zu begegnen. Man muss sich nur in die Villa Stuck begeben. Denn der Malerfürst Franz von Stuck liebte es gegen Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20., in der Zeit der aufkommenden Psychologie, seine Figuren in das Gewand von Göttern und Fabelwesen schlüpfen zu lassen bzw. besser spricht man von Rollenspielen, denn viel Gewand zu reinschlüpfen gab bei diesen Darstellungen nicht: „Kämpfende Faune“, „Faun und Nymphe“, „Faun und Nixe“, auch ein erbarmungswürdiger verirrter Faun geistert allein herum.
Doch war es nicht Stuck, der dem Faun in der modernen Kunst einen prominenten Platz geschaffen hat: Pablo Picasso feierte ihn wie kein anderer, mit der Aquatinta-Radierung „Faun enthüllt eine Frau“ von 1936 etwa, mit „Kopf eines Fauns“ von 1937, „Musizierender Faun“ von 1947 und 1948, „Faun und Ziege“ von 1959 und der erotischen Radierung „Faun und Nymphe“ von 1968. Picasso ging es darum die griechischen Göttermythen mit ihren Minotauren, Kentauren und Faunen in seine hedonistische Kunstwelt zu integrieren. Sein Ansatz fand freilich keine Fortsetzung. Der einzige, der das hätte tun können, der Dramatiker Friedrich Dürrenmatt, starb, bevor er sein Opernskript zum „Minotaurus“ mit dem zypriotischen Komponisten Nicolas Economou fertig gestellt hatte.
Unsere beiden Künstlerinnen zielen bei ihren „Faun“-Belebungen auf anderes. Es geht ihnen um das Geheimnisvolle, nicht Festgelegte, es geht um das Versteckspiel und um den – wie man es früher nannte – Schabernack – also um ein Spiel der Kunst in der Natur und der Natur in der Kunst, letztlich um die immer wieder neue Herstellung eines Traumlandes, wie es Eduard Mörike und seine Freunde mit ihrer Erfindung von „Orplid“ taten.
Erika Drave, seit 1953 freie Photographin und seit 1962 in München, wo sie für Münchner Zeitungen prominent tätig war und etwa 1972 das offizielle Olympiaplakat schuf, hat in zahlreichen Ausstellungen und Publikationen sich einen Namen gemacht. In ihren zwischen 2007 und 2009 entstandenen Photokompositionen, die wir in dieser Ausstellung sehen, ausdrücklich ohne digitale Technik hergestellt, hat sie mit „Fauns Lustgarten“, „Faunus Mollnöder“ und „Faunischer Wald“ ihre Lieblingslandschaft Mollnöd faunisiert, also mit photographischen Mitteln verzaubert, indem sie den Faun in der Natur versteckt. Oder sie bildet die Figur eines Fauns ab und montiert sie in die Natur, wie in den Photokompositionen, die Stucks und Gebhard Fugels Faungestaltungen zitieren, wie „Faunus privatus“, „Stotzender Silen“. „Faun probt auf Pans Syrinx“, „Großer Faunschatten“, „Hirschmensch“ und „Faun bläst Nymphen Auf“. Andererseits entdeckt sie in ihrem Zyklus von Schmetterlingsauf- nahmen aus Mollnöd, diesem „Eldorado“ der Faune, verborgene Panfiguren und Faune und vergleicht die Schmetterlinge mit diesen, wie sie einmal in einem Bildtitelkommentar es ausdrücklich beschreibt: „ Dem Faun tut's der Falter gleich, da wohl jener sich in diesen verzaubert hat, der Gestaltenwechsler“.
Alinde, die nicht zum ersten Mal mit Erika Drave zusammen ausstellt, ja überhaupt das gemeinsame Ausstellen mit Künstlerkolleginnen und Kollegen liebt und ja auch genügend Ausstellungen organisiert hat in ihrem Leben, nicht erst seit der Gründung des Kunsthaues Galerie Orplid in Icking und dann Solln, sondern schon vorher den Münchner Kunstverein 5 Jahre lang, hat für diese Ausstellung Malerei- und Zeichnungszyklen auf Papier geschaffen, die alle auf dem gleichen Prinzip fußen: au einer monochromen, leicht diffusen Gesamtfläche als Hintergrund, in hellroten, hellgrünen, hellbraunen Serien, entfalten sich protuberanzenähnliche Gebilde, denen durch Umriss-Zeichnungen Anmutungen von Augen, Hörnern. Extremitäten eingeschrieben werden, sodass zottelige Wesen, Wölfe, Ziegen, Fische, Vögel, Schmetterlinge, aber auch menschliche Körper assoziierbar werden.
Während bei Erika Drave die Faune entweder in der Natur identifizierbar oder ganz fehlen ( aber vom Betrachter als versteckt begriffen werden), treiben bei Alinde merkwürdig fahrige Figuren ihr Wesen bzw. wohl auch ihr Unwesen, gewissermaßen haben Gremlins, wie wir sie aus den amerikanischen Fantasy-Filmen kennen, die Bildproduktion heimgesucht.
So richtig greifbar sind aber die Faune bei beiden Künstlerinnen nicht. Wie auch, denn eigentlich Unsichtbares, bestenfalls Erahnbares lässt sich nicht so leicht vergegenwärtigen – um den Untertitel „Ahnung und Gegenwart“ an dieser Stelle anzuwenden. Beide Künstlerinnen nutzen aber einen Kunstgriff zur Herstellung dieser Vagheit: die doppelte Perspektive. Alinde setzt auf die leicht verschwommenen, amorphen Hintergrundsflächen sich von diesen abhabende Flecken, die sie konturiert,so wie Glasmalerei 2 Ebenen herstellen kann, sodass diese schemenhaft comicartigen, karikaturistisch wie grotesk auftretenden Gestalten, zuweilen tierhaft, zuweilen menschenähnlich, in solcher Doppelperspektive nicht eindeutig präsent sind, sondern wegflutschen. Die Lakonik der Darstellung dieser Elementarteilchen, nicht unähnlich den fantastisch-vegetativen Figurinen und Ausstülpungen bei Joan Miró und Max Ernst, transportiert den Betrachter zurück in Urzustände des Lebens. Die Faune bei Alinde sind angekommen im Zeitalter der Quantenphysik und der Nanotechnologie. Loriots Steinbeisser, von seinem Professor Grimek über das Elektronenmikroskop sichtbar gemacht, hat mit diesen Quarks-Faunen Kollegen erhalten.
Bei Erika Drave wir die geheimnisvolle Doppelbödigkeit durch die Gleichzeitigkeit der fokussierten und nicht fokussierten Zonen in ihren Photoarbeiten hergestellt – einmal abgesehen von dem Schmetterlingszyklus. Bei letzterem baut die Künstlerin auf unseren metamorphotischen Blick: unsere Wahrnehmung entdeckt in den Mustern auf den Falterflügeln die versteckte Anwesenheit der Faune, dieser Sendboten einer magischen Mnatur. Denn die dienstbaren Naturgötter leisten etwas das uns allen immer mehr abhanden kommt. Sie begeistern, im Sinn von Befruchtungen durch den Geist. Solche Verzauberungen, wie wir sie in der Kunst etwa aus Shakespeares Stücken kennen, wie aus dem „Sommernachtstraum“, aus dem „Sturm“ - mit dem Puck-Geist Ariel und seinem Gebieter Prospero, bevor er den Zauberstab ablegt oder von den Geschlechterverzauberungen wie in „Zwölfte Nacht oder Was ihr wollt“, wo ein Mann eine Frau spielt, die einen Mann spielt, der dem Geliebten zu Gefallen eine Frau spielt, solche Verzauberungen also sind die Fabrikationen, um deren willen Kunstgeschöpft wie die Faune so durcheinander gewirbelt auf- und abtauchen. Was sie provozieren sollen, diese lüsternen Ziegenbocksmenschen-Götter, scheint mir eben nicht rückwärtsgewandt und altmodisch, sondern im Gegenteil sich utopisch öffnend, wie jeder echte Akt des Eros und zielt auf das wohl größter Gut des menschlichen Geistes: die Fantasie.

Ich danke Ihnen.

Elmar Zorn