Kunsthaus Orplid


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Einblick in die Wirklichkeit des Phantastischen

Zur Ausstellung "Faune - Ahnung und Gegenwart" von Erika Drave und Alinde,
Orplid in München - Solln


"Die Sonne war eben prächtig aufgegangen, da fuhr ein Schiff zwischen den grünen Bergen und Wäldern [...] herunter."
Joseph Freiherr von Eichendorff;
Ahnung und Gegenwart


"Wesen schweben dahin, in gleichgültiger Zufälligkeit versammelt. Manchmal täuschen sie Schwerkraft vor und fallen zu einem Stilleben zusammen. Irgendwo krümmt sich die Architektur, irgendwo stielt sich Witz durch eine Galerie von absichtslosem Ernst. Je tiefer das grüne Meer, desto klarer die Bilder, die nichts meinen außer ihrem ruhigen Sein."
Johanna Sigurdardóttir;
Ich den Tanzlehrer, Du den General


Es liegt im Wesen der Fotografie, dass sie den abgebildeten Ausschnitt der Welt isoliert, ihn aus dem Zusammenhang einer Landschaft oder eines Ereignisses reißt. Solche Fotos erzählen von den übersehenen Situationen, von den Rändern des Daseins. Auch Erika Drave ist in ihren Werken Verborgenem auf der Spur und rückt es in den Mittelpunkt. So entstehen Bilder, die sich dem Unberührten und Geformten, dem Statischen und dem Bewegten nähern und faszinierende Einblicke in verborgene, autarke Welten liefern.

In Draves Kunst geht es folglich nicht um ein Vermessen der Welt, sondern um die Sichtbarmachung einer anderen. Drave setzt dabei auf die klassische analoge Fotografie und der anschließenden künstlerischen und handwerklichen Arbeit. Dabei nutzt sie die Farbenpracht des Mediums der Fotografie und seiner verführerischen Qualitäten durch Unschärfeeffekte. Halme und Bäume werden so in ein atmosphärisches Farben schimmerndes Sfumato eingetaucht. Hier nähert sich die Fotografie dem Mystisch-Piktorialistischen an und zeigt sich auch stets als Zwiegespräch zwischen Künstler und Medium.

Zunächst noch sind es Schmetterlinge wie die Widderchen, die Hochzeit feiern, der Trauermantel oder das Landkärtchen. Später, wenn sich das Auge an die Mikrokosmen gewöhnt hat, bevölkern Faune diese Welt, Nymphen und schleierhafte Wesen.

Faune, jene sanften und gutmütigen Wesen, die meisterlich auf ihrer Flöte spielen und dadurch das Wachstum der Natur günstig beeinflussen, werden oft in Gestalt eines Mannes mit den Hörnern und Füßen eines Ziegenbocks beschrieben. In vielerlei Form aber sieht er uns in Draves Bildern an: Er zwinkert uns aus dem Gras zu, versteckt sich in stiller Liebe, wütet in Wasserschlieren oder tanzt im Geäst.

Der Faun aber ist zugleich auch besonders charakteristisch für die introspektive Kunst, in der die Hybridisation von Mensch und Tier oder Natur Ausdruck einer traumhaften Melancholie ist. So werden etwa die Farne, Schilfgräser, Wollgräser und Schachtelhalme des Mollnöder Moos zur Kulisse einer bevölkerten, eigenständigen Welt mit einer geradezu magischen Ruhe. Sowohl die Offenheit des Blicks als auch das selbstverständliche Fließen-Lassen der Farben bilden immer wieder einen transparenten, leuchtenden Schleier, der die Ahnung vom Dahinter wie der Vorhang einer Theaterbühne preisgibt.

Doch seien wir ehrlich, wo bleibt die Gegenwart? Von solch individuellen Spielräumen, solch Weitsicht, solch respektvollem Entdecken oder dem vielschichtigen Miteinander wie in der Natur von Mollnöd sind wir in unserem Alltag doch weiter weg denn je. Der wachsende Lebensraum des Menschen führt nicht nur zwangsweise zu einer Einschränkung der Entwicklungsfreiheit anderer Lebensformen, sondern auch der eigenen Phantasie.

Den Besuchern dieser Ausstellung aber werden Selbstüberschätzung und die Betriebsblindheit unserer Gegenwart indes ironisch reflektiert vor Augen geführt, neue Räume eröffnet und die Phantasie als unbeschränkte Ruhezone für unser real gestresstes Dasein gefeiert. Denn auch außerhalb der unseren existieren Welten, die funktionieren. In Draves Fotografiebearbeitungen entsteht ein Raum zu solcher Reflexion, wie auch Alindes Bilder ein Spiel der offenen Entdeckungen sind:

Während Faune bei Drave personifizierte Naturstimmungen sind, leben Alindes Figuren bereits von der Destruktion, die der Mensch hinterlassen hat. Rostige Container werden zu Bedeutungsträger für Satyrn und eigentümliche Wesen. Und wie es da zu geht! Voller Intensität, Frechheiten, energetischer Aufladung, Sprengkraft, Neugierde, grafischer Dichte und Tiefe toben und schwurbeln sie umher. Ihre Lebenswelt ist vielfach vernetzt, nahestehende Wesen kommen in Beziehungen näher und entfernen sich. Herbeizitiert erscheinen sie in einen Teppich der Sexualität, Lust, Gewalt, Beziehung, Tratzerei und Frechheiten verwoben, ohne auf Individualität zu pochen, ohne sonderlich etwas zu wollen, und dennoch stets in einem Zustand selbstvergessener Begeisterung. Die gezeichneten Gestalten existieren in einer Sphäre, in der Hemmungslosigkeit zu einem ständigen Zustand geworden ist. Es sind spielerische Antihelden, die als Teil einer phantastischen Welt ein Gegengewicht zum Alltag bilden und gemeinsam einen Zustand finden, in dem es weder gut noch böse gibt. Alindes Zeichnungen sind keine Statthalter für Narrativität, Motivik oder Resultate eines Abstraktionsprozesses; sie sind selbstreferenziell, aber keineswegs unzugänglich oder schweigsam. Wie ein großer Knall, ein aufbrausender Sturm machen sie sich bemerkbar, voller Energie und Raserei.

Paul Klee schieb einst 1915 über Alfred Kubin, dieser "käme nicht los vom Schlamm der Erscheinungswelt". Doch nach der spröd-ängstlichen Betulichkeit des Postmodernismus und mitten in Zeiten der ausschließlichen Gewinnmaximierung, akuter globaler Finanz- und Wirtschaftskrise und ungelöster Konflikte, in der Regierungen und Industriekonzerne versuchen, in ihrer globalen Verstrickung Antworten zu finden, möchte man sich doch mit Vergnügen zu diesem Schlamm bekennen. Dank Drave und Alinde öffnet sich der Blick für eine befreiende Existenz anderer Welten. Lassen wir also statt gewinnmaximierten Heuschrecken unsere Phantasie Betriebsfest feiern, bis alle Schatten unserer Gegenwart Gute Nacht sagen.


© Jóhanna Sigurdardóttir M.A.