Kunsthaus Orplid


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Faune – Ahnung und Gegenwart
Ausstellung im Orplid Solln
Analoge Photographien von Erika Drave und Papierbilder von Alinde Rothenfußer


„Pfeifen im Wald“. Aber warum denn? Muss man sich da wirklich Mut machen? Ist denn da was im Gebüsch? Glotzen da wirklich Augen im späten Dämmerlicht? Lässt sich hinter dem Blättergeflirr nicht doch ein Bocksgehörn ausmachen? Ist da nicht ein silberweiß schimmerndes Wesen mit einem kleinen „Glucks“ in den tagsüber so vertrauten Waldsee abgetaucht? Aber nein, doch nicht in unseren aufgeklärten Zeiten. Aufgeklärte Zeiten? Die hatten wir schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts als 1804, im letzten Jahr des Säkularisation, Moritz von Schwind geboren wurde. Der spätere Professor an der Münchner Akademie, der viele Jahre am Starnberger See lebte, erging sich mit Lust in den Gefilden der Faune und Nymphen. Wie auch seine Kollegen, ein paar Jahrzehnte danach, die Münchner Malerfürsten Franz von Stuck und Friedrich August von Kaulbach. Ihren Gemälden und Skulpturen, in denen sie den geflügelten, bocksfüßigen und gehörnten Wesen aus Mythen, Märchen und Sagen ihre Reverenz erwiesen, war höchste Aufmerksamkeit des Publikums gewiss. Witzig ist sie schon, diese Diskrepanz zwischen Realität und Traumwelt: Franz von Stuck, Mitbegründer der „Münchner Secession“ wie auch einer Genossenschaft mit dem Namen „Pan“, zog mit seinem Bild „Faun und Nixe“ höchste Bewunderung auf sich und doch wurde ihm 1928 der Wissenschaftler-Titel „Dr. Ing. ehrenhalber“ verliehen.

Zwei Münchner Künstlerinnen, die Photographin Erika Drave, die über viele Jahrzehnte hoch angesehenes Bildmaterial an Verlage und auch an die Süddeutsche Zeitung geliefert hat, und Alinde Rothenfußer, Malerin seit Jahrzehnten und nach dem Krieg lange Kuratorin des Münchner Kunstvereins gewesen, haben sich ihrerseits mit ihrer Ausstellung „Faune – Ahnung und Gegenwart“ voller Lust in die Welt der „Geister, Gänger und Gespenster“ gestürzt. Das war der Titel eines der bekanntesten Hörspiele des Bayerischen Rundfunks 1947, mit dem in harten Hungerjahren ein Blick in eine schillernde Anderswelt getan wurde.

Wer eintritt in die Räume des Orplid in Solln bringt erst einmal Alltagsrealität mit – aber lange kann er sich nicht der Faszination dieser rätselhaften Hell-Dunkel-Spannung entziehen, die ihn hineinlockt in einen Kosmos jenseits von Tageslicht und sogenannter Realität. War denn das nicht Realität, als die Bauern hierzulande noch bis in das 19. Jahrhundert hinein den Segen der Waldgeister erbaten, ehe sie einen Baum fällten, oder wenn die Bäuerin das Schüsselchen mit Milch dem kleinen Volk hinstellte, von dem sie sich Freiheit von Krankheiten für das Vieh erhoffte?

Erika Drave gestattet zunächst noch mit einem Teil ihrer Photographien den Blick in eine Zwischenwelt. Es geht um Schmetterlinge und Falter, diese unvorstellbar schönen, zarten Wesen, die im alten Griechenland „Psyche“ hießen, woher dann das im Deutschen gebräuchlich gewordene Wort Psyche für Seele stammt. Die Seele, die nimmer stirbt, sondern, wenn sie dem Dunkel der Puppe entschlüpft ist, sich erneut dem hauchleichten Dahinsegeln ergeben darf. Die Photographin hat sie in „Mollnöd“, ihrem zauberischen Rückzugsort, gefunden, kennt ihre Namen, lässt sie sein in diesem Labyrinth aus zartem Blattgewedel im Wind, manchmal umblitzt von kleinen Sonnenflecken, denn wieder verwoben mit den unendlichen Grünschattierungen eines Dickichts im frühen Sommer, aus dem hie und da eine rosafarbene Blüte hervorleuchtet.

Dann, in den meist großformatigen Arbeiten, alle im Gegensatz zur heute üblichen Photographie nicht digital, sondern analog gewonnen mit Hilfe raffinierter Überlagerungen und Spiegelungen, ist es Zeit für den Betrachter, sich gänzlich einzulassen. Wo mag es stecken, dies mit der Tier- und Pflanzenwelt so eng verbundene Geistwesen? Etwa im feuchten Halbschatten des „Faunus Eldorado“? Dort also, wo der Faun glücklich ist? Der „Wütende Faun“ – wozu er gewiss heute allen Grund hat – lässt sich noch nachvollziehen im windgeschüttelten blaugrünen Blattgewirr. Fast ganz in seiner männlich-satyrhaften Eleganz zeigt er sich in „Gottsnatur/Faunus“. Den Bocksfuß streckt er frech von sich und versteckt auch nicht sein herrisches Gesicht mit dem durchdringenden Blick: Ansicht einer Künstler-Skulptur, die um sich Dschungel wachsen lassen durfte und dort von einer seelenverwandten Künstlerin entdeckt wurde. Dann wieder tut einem das Herz weh beim Anblick des „Hirschmenschen – feig getroffen“. Sein Gesicht mit dem im Schmerz klagend geöffneten Mund ist nach oben gereckt. Aber richtet sich da nicht auch eine harte, verzerrte Wolfsfratze nach hinten, dem feigen Schützen zugewandt, der von nun an vielleicht einen Fluch wird mit sich tragen müssen? Denn das sind sie immer, diese Wesen: So nachtschwarz und finster wie Natur und Leben nur sein können, und so licht und hehr, wie wir Menschen es nur in Sternstunden manchmal erleben dürfen.

Ein anderer Teil der Photographien von Erika Drave sind der Abstraktion nahe. Wer davor stehen bleibt und sich einlässt, den springt plötzlich aus diesem verschlungenem, in sich verschmolzenen Meer von Pflanzenleiber, Blättern und Blüten eine wundersame und rätselvolle Mehrdimensionalität an: Er erkennt die Umrisse eines Antlitzes, fühlt sich angeschaut von Augen, mag einen Herzschlag lang begreifen, dass genau dies das Leben in seiner Fülle ist, von der unsere sogenannte Wirklichkeit soviel ausspart. Es sind kostbare Momente, in denen alle Angst gewichen ist.

Alinde Rothenfußer hat die beiden Werkgruppen, die in zwei Räumen jeweils ihren Platz gefunden haben, dadurch geteilt, dass sie in einem Fall auf einem grünblau wässrig schimmernden Bildgrund gemalt hat, im anderen auf einem Blaurot, wie es die Oberfläche eines Sees im späten Abendrot spiegeln mag. Nach einer Weile der Betrachtung taucht ein gänzlich ungewohnter Impuls auf: Möge es doch manchmal gelingen, diese Körperschwere loszuwerden, diese Arme, Beine, den Kopf, die alle getragen werden wollen. Möge es gelingen, sich schwebend, tanzend, hüpfend in ständiger Metamorphose in ein Geschöpf zu verwandeln, das, wenn es daran nur denkt, flugs schon eine geflügelte Schlange ist, ein Fischchen mit Vogelschnabel, ein Rüsseltier mit Flossen, ein zum Leben erwachtes knorriges Aststück, von Moosen besetzt wie von einem Pelzchen, mit Augen und seltsamen, knubbeligen Gelenken hier und da. So frei zu sein, so leicht im gemütlich warmen Wasser oder vielleicht gar im Äther zu schweben...

Aber eben nicht allein, sondern mit allen jenen anderen Wesen, den Quellnymphchen, den Wasserfaunen, den urweltlichen Pansgeschöpfen, die durchaus lange, dünne Männlein oder breit und gnomenhaft dasitzende, androgyne Gestalten sein können. Sie spielen miteinander, umsegeln sich, treffen sich zu einer kleinen Zirkusvorstellung, die alle glücklich macht. Skurriles Getümmel und Getier – vieles davon können wir sehen, wenn wir lange in einen Moorsee schauen. Dann sind sie da vor unseren inneren Augen, die, die leben und jene, von denen wir denken, dass sie leben. Unser Hirn hat Spaß daran, sie uns zu zeigen – und die Malerin hatte diesen Spaß genauso. Mancher, der seinen inneren Augen tatsächlich traut, weiß, dass sie leben, diese Wesen, und hält Zwiesprache mit ihnen, hört vielleicht Antworten zu ihm wichtigen Fragen.

Alinde Rothenfußer, Naturgängerin von ihrer Kindheit an, hat ein Rotbraun für ihre Gestalten gewählt. Ihrem Pinsel lässt sie freie Wahl, welche Grundfigur denn nun entstehen solle. Dann setzt sie weiter an mit einem klaren Blau, wenig Gelb, auch, vor allem bei den rotgrundigen Arbeiten, mit Schleiern aus einem feinen Grau, die Bewegung und Tiefe in den Bildgrund bringen. An der Vielfalt der Figuren, die sich schwerelos und wie im Reigen miteinander tummeln, auch halb eingebuddelt sind im Boden, vielleicht auf Beute wartend mit geöffnetem Maul oder Schnabel, lässt sich schon ablesen, dass es durchaus um Hauen und Stechen gehen kann. Doch ist auch Liebe da, besser gesagt, Eros, dessen sich in jener Welt niemand schämen muss. Nichts wird versteckt, wie es in der Menschenwelt so üblich ist. Denn, das darf für uns eine Lehre und vielleicht auch ein glückliches Erkennen sein: Licht und Schatten, Dunkles und Helles, sind untrennbar eins auf unserem Planeten. Wie das alles in unseren eigenen Urgründen seinen Platz hat, dafür geben uns die Arbeiten dieser beiden Künstlerinnen ein Beispiel.

Ingrid Zimmermann