Bilderflut fürs Kopfkino Zu Alinde Rothenfußers Ausstellung „Fabelhaft“, Orplid in München Ach ja, früher. War da nicht der Durchblick um einiges leichter, als es die sauberen Kunstrichtungen noch gab, die jeder Museumsführer seinen Besuchern aufzählen konnte? Die Impressionisten malten, was sie sahen. Die Expressionisten malten, was sie fühlten. Die sozialistischen Realisten malten, was sie vom Zentralkomitee hörten. So einfach ist es heute nicht mehr, zugegeben. Doch auch wenn es im gegenwärtigen Kunstbetrieb leider zu oft darum geht, mit viel Gekreische Locken auf Glatzen zu drehen: Es gibt auch immer wieder Künstler und Schöpfergeister, die erfrischend anders und gekonnt an den Gitterstäben unserer Wahrnehmung rütteln. Sie ahnen, wer hier gemeint sein könnte: Alinde Rothenfußer, deren Werke hier unter der bezeichnenden Überschrift „Fabelhaft“ zu sehen sind. Denn in Alindes Bildern bricht sich Kunst sprichwörtlich bahn in urbane Lebensräume, wurzelt frechweg in Nischen, treibt fortwährend neue Blüten und fungiert so als optischer Stolperstein auf den ausgetretenen Pfaden und Flaniermeilen der Kunst. Keine Angst aber vor den manierierten Eitelkeiten mancher Westentaschenkunstkenner und der oft beschworenen Bedeutungsschwere als einzige Legitimation für künstlerischen Wert, all das ist hier fehl am Platze. Für Alindes Bilder braucht man nur ein Talent zum Sehen, zum Entdecken, zum Schmunzeln und einen Sinn dafür, Vorgegebenes loszulassen, die Dinge nicht unbedingt beim Namen nennen zu müssen, um eine Bilderflut fürs Kopfkino genießen zu können. Poesie, Phantasie, Ästhetik und eine Portion Entdeckerwitz vermengen sich in den Arbeiten der Künstlerin. Alinde entdeckt in ihren mischtechnisch gearbeiteten Werken zunächst vermeintlich unspektakuläre Ansichten und entzieht ihnen durch Detailstudien mit Stift und Pinsel ihre Beliebigkeit. Der Betrachter wird konfrontiert mit einer Fülle von sprunghaft-assoziativen Bildern, die den Blick zunächst magisch fokussieren und die irgendwann in den Köpfen der Betrachter zu neuen Welten werden. Welten, in denen sich so banale Dinge wie Striche, Kringel oder Punkte in Elfenhaar, Feder-Fächer und Urformen mit vertracktem Innenleben und weitsichtiger Präsenz wandeln können. Seltsame Mutanten und eigentümliche Mischwesen in erstaunlicher Filigranität und von frecher Wesensart bevölkern da plötzlich die Blätter, tummeln sich Fabelwesen, Gnome, Phönixe, Wolpertinger, Hippogreife und Federelfen zwischen Rost, Farbakkorden und Beulen. Im Reich der Ideen entdeckt Alinde ihre Bilder, und mit ihr entdeckt sie der Betrachter. Fabelwelten, die ohne Zynismus ineinander verwoben, manchmal komisch, oft eigen, immer mehrfach interpretierbar und anregend sind. Eine Sicht und Sichtbarmachung des Verborgenen und Phantastischen, die dem Betrachter federleichten Zugang zu immer neuen Entdeckerebenen eröffnet. Unkonventionell, unbeschwert, alles, außer gewöhnlich. Oder einfach fabelhaft. Text: Claudia J. Koestler |