Kunsthaus Orplid


Home&Impressum
Galerien
Auswahl an Ausstellungen
Helmut Sturm (Rede, Besprechungen: 1, 2)
Künstler aus der Umgebung (Rede von Christoph Wiedemann)
Matinee Einladung: Vorderseite & Rückseite
Alinde - Der Demiurg (Rede, Text, Besprechung, Feature)
Alinde - Ich bin ein Drache (Einladung: Vorderseite, Rückseite, Rede)
Parkplatzplanung mit Potlatch (Galerie, Besprechung)
Künstler aus der Umgebung (Text)
In erster Linie (Text, Besprechung)
Erika Drave & Alinde (Rede von Elmar Zorn, Texte: 1, 2)
Ruth Kohler (Rede von Joachim Kaiser, Texte: 1, 2, Besprechung)
Lothar Fischer & Helmut Sturm (Texte: 1, 2 - Besprechungen: 1, 2, 3, 4, Feature)
Lothar Fischer - Pinselzeichnungen (1. Text, 2. Text)
Josef Blaumeiser
Cornelia von Seidlein - Collagen (Text)
Alinde - Fabelhaft (Text)
Alinde - Flohmarkt (Rede, Text, Besprechung, Feature)
Sommerakademie
Bernd Zimmer (Rede von Wolfgang Jean Stock, Besprechungen 1, 2)
Wolfgang Ramadan und Alinde (Text, Besprechungen: 1, 2)
Michael Langer (Text)
Alinde - Offenes Atelier (Rede von Christoph Wiedemann, Texte: 1, 2, 3)
Zur Welterwärmung (Text, Besprechung)
Alinde - Oktoberfest (Text, Besprechungen: 1, 2)
Künstler aus der Umgebung 2007 (Text)
1. Ickinger Sommerakademie
Heinz Haberkorn, Walter Raum (Text)
Doldinger, Alinde, Engelbrecht (Text)
Helmut Rieger & H.M. Bachmayer (Text)
Helmut Sturm - 75 (Gesammelte Besprechungen)
Alinde&Inge Doldinger - Die Poesie des Alltags (Text)
Ernst Maria Lang
Peter Casagrande & Emö Simonyi (Text)
Erika Drave, Alinde & Bjarne Geiges (Text)
Andreas Bindl und Helmut Sturm (Plakat)
Alinde - Engel im Hollerhaus
Künstler aus der Umgebung
Katharina von Werz
Alinde - Fussballweltmeisterschaft (Text)
Hanns Reich
H. M. Bachmayer
Ernst Hürlimann (Text)
Alinde&Inge Doldinger
Alinde - Bomarzo
Markus Heinsdorff
Künstler aus der Umgebung 2005
Alinde&Walter Tafelmaier
Ruth Kohler
Edgar Mrugalla
Elisabeth Heindl
Alinde - Engel Bilder
Künstler aus der Umgebung
Alinde&Hans Kastler
Heino Naujoks
Andreas Bindl (Exponat)
Helmut Sturm
Jäger, Geiges, von Seidlein
Erhard Hössle
Werner Pokorny
Friedel&Dirtinger
Ruth Kohler
Elisabeth Heindl
Mauer-Franken, Wilckens
Kirchner, Geitlinger
Sappel&Wachter (Besprechung)
Ernst Hürlimann
Johannes Dreher
Ibragimow, Doldinger, Haas
www.alinde.de
„In erster Linie“, Ausstellung im Orplid in Icking mit Arbeiten von Alinde, Herbert Gerhardt, Michael von Cube, Hans Haas, Gerd Jäger und Hannes Hein. Eröffnung 12. Juni 2009.

„Ernst ist das Leben, heiter sei die Kunst...“ lässt Goethe in seinem Faust sagen. Aber was hat er selber gemacht: Gruselszenen gedichtet von einem schwarzen Pudel in einer Rauchwolke, von einem Schatzsucher, der voller Angst nächtens zu einem Kreuzweg wandert, um einen Schatz zu heben, oder gar geschwänzte Teufelchen und Hexen in der Walpurgisnacht ziemlich sexmäßig sich amüsieren lassen. Viel ist erlaubt in der Kunst und mit der Heiterkeit, diesem hehren Darüberschweben, ist es so eine Sache – sie wird schnell langweilig. Das Helle und das Dunkle: So ist doch das Leben. Zum Lachen und Glücklichsein, zum Totlachen aber auch, zum Grinsen, zum Weinen. Ohne Galgenhumor geht es nicht.

Überhaupt nicht langweilig, sondern ein Wechselbad zwischen glucksendem Gelächter aus dem Zwerchfell auf der einen Seite und ernstem Einlassen in ein paar Geheimnisse des Gestaltens aus dem Urgrund der Kunst heraus, so zeigt sich die jüngste Ausstellung im Orplid in Icking. Bei jedem der vielfältigen Exponate kann man sich vertiefen. Sei es bei den per Post hin- und hergeschickten Zwillingsarbeiten von Herbert Gerhardt, der in Frankreich lebt, und Hans Haas in München, der von anderen Ausstellungen im Orplid her und als Partner von Ruth Kohler bei den Sommerakademien bekannt ist. Oder sei es bei Michael von Cube und Hannes Hein, die ebenfalls miteinander gemalt und geklebt haben, Collagen, mit denen sie Frauen von heute, auch in Frauen umgewandelte Männer, mit den Schönen von König Ludwigs I. in der Mitte des 19. Jahrhunderts zusammengebastelt haben. Texte dazu, fiktiv oder nicht, darum geht es hier nicht, hat wiederum ein anderer geschrieben. Allein im stillen Kämmerlein gearbeitet haben Alinde Rothenfußer, die Malerin fiktiver Wunderwelten im Wasser und in glutheißen und aschengrauen Tiefen unseres Planeten, der ständig gestaltend sich selbst neu erschafft, wie auch der Bildhauer und Maler Gerd Jäger, ebenfalls bekannt von früheren Ausstellungen im Orplid. Gänzlich Eigenes hat dazu noch Hans Haas geliefert. Bei ihm fragt sich wirklich, ob er je ein Objekt auf dieser Welt – ob Schrott oder neu - anschauen kann, ohne es gleich in einem Phantasiefluss ohnegleichen auf die oft wahnwitzigste Weise zu verwandeln

Um gleich bei ihm zu bleiben. Wem würde es einfallen, zwei Schraubhaken, die, man sieht es, schon einmal in einer Wand steckten, ineinander zu hängen und aus zweierlei dünnen Drahtstücken ihnen ein Nervengeflecht zu verpassen? Ein Nichts ist das, hat Platz in einem Handteller und ist doch ein Gestalt gewordenes Synonym für eine Zweiergemeinschaft mit allen ihren Aspekten, den dunklen wie den hellen. Aus einem kaum spannengroßen viereckigen Karton mit aufgestellten Seitenteilen und ein wenig Malerei wird ein „Fliegender Hund“ und aus einem Eisenteil aus einer Maschine, durch das vielleicht einmal ein Seil gelaufen ist, wurde ein „Mensch als Baum“. Ton, bizarr geformt, und etwas Farbe genügen. Noch gut zu kapieren ist das „Unterwerfungsdoppel“, in dem Mensch, Tier und Pflanze miteinander verschlungen sind, zueinander gezogen und auseinander strebend, und auch die „küssenden Pferde“, zwei in Silberfolie gewickelte Pferdeschädel. Für einen Teil der anderen Arbeiten braucht der Betrachter jedoch nicht selten eine Um-die-Ecke-Denkerei nach Art des Karl Valentin. Hat man es „geschnallt“, ist man richtig glücklich. Nicht viel anders geht es einem bei den gemeinsamen Arbeiten von Haas und Gerhardt. Die sind nach einem System entstanden, mit dem man auch gelangweilte Kinder gut beschäftigen kann, indem man auf einem geknifften Bogen Papier jeweils ein anderes Kind weiter ausspinnen lässt, was vorher, nun unsichtbar, als Teilbild vorhanden sein mag. Was hier heißt: Einer der Künstler beginnt etwas zu zeichnen oder zu malen mit Kugelschreiber, Buntstift, Kreide oder Pigmenten, je nach Gusto. Dann geht der Keim des Werkes zur Post nach Frankreich, falls Hans Haas derjenige war, der angefangen hat, und kommt, ein Stück weitergetrieben, wieder nach München zurück. Allerdings meist anders als Haas gedacht hatte. Der fügt jetzt ein Drittes hinzu – oder auch nicht. Hier heißt es für den Betrachter, sich Zeit zu nehmen, um zu eigenen Interpretationen zu finden. Es geht nämlich ganz schön wild zu auf diesen Blättern.

Fast nicht zu glauben ist, dass eine Serie völlig anderer Arbeiten ebenfalls von diesem Duo stammt. Alltagsgegenstände, etwa Formteile aus farbigem Plastik, wurden mit gewickelten Orangenschalen zu skurrilen Objekten verschmolzen. Photos davon wurden auf fliesenartige Bildgründe, ebenfalls aus Plastik, kopiert und zeigen sich nun als zentral gestellte Monolithe von edler Ästhetik. Will hier jemand behaupten, Kunst habe so oder so auszusehen? Dann wieder die ganz andere Seite, Installationen von Hans Haas, nun allein. Eine „Insektenhochzeit“ hat er aus einem alten Pickel, Eisenbändern und verwickeltem Draht in ein Knäuel aus dicker Verpackungsschnur gesteckt und eine ausgebrauchte Töpferscheibe wurde, mit Hilfe von Ton und einem Schwall Farbe, zu „Bruno als Clown“.

In einem der oberen Räume des Orplid hat eine Schönheitsgalerie besonderer Art einen Platz gefunden. Auch hier geht es um gemeinsam geschaffene Arbeiten, Collagen von Michael von Cube und Hannes Hein. Entstanden sind sie nicht aktuell, sondern schon vor rund zehn Jahren, als Plakate und Werbung, das Grundmaterial, noch etwas anders aussahen als heute. Herausgekommen ist ein Panoptikum der Ikonen männlicher Sehnsüchte: Nackte Busen, schwellende Lippen, Hände mit knallroten Teufelskrallen, schmachtende Riesenaugen im Dreierpack, lange Haarmähnen, ein elegantes nacktes Bein und sogar nette runde Pobacken. Nichts davon auf dem Platz, an den es von Natur aus gehört, sondern schräg und schief ab- oder angeschnitten, gepaart mit zerknittertem Goldpapier, weil Glamour ja dazu gehört, oder auch mit einem Teller mit Schinkenscheiben und Wurst oder gar zwei Bananen. Ein Schuft, wer sich etwas dabei denkt.

Aber die Männer kriegen schon auch ihr Fett weg. Für die Wand der Galerie über dem großen Raum hat Michael von Cube eine Serie von Porträts von männlichen Menschen geliefert, Monotypien in Grau- und Weißtönen. Doch, anders als diese Farbwahl vielleicht erwarten ließe, keine vornehmen, kühlen Herrengesichter, sondern den verquälten Mann, den Suchenden, der nicht zugeben kann, dass er sucht, den Genussmenschen, dem der Genuss längst schal geworden ist, aber der noch immer keinen Weg sieht als vielleicht den der Sucht. Dennoch: Kraftvoll sind diese Gesichter gemalt, künstlerisch überzeugend, herausgewachsen wie aus einer von tief innen kommenden großen Bewegung der malenden Hand.

Dann, ist man angelangt auf dem oberen Flur, der zum Treppenhaus führt, wird es ruhiger. Wenn auch nicht wirklich, denn die Arbeiten von Alinde führen in das Wirken und Walten in den Tiefen der Natur unseres Planeten, das seine eigene Bewusstheit hat, seine eigene Geistigkeit und seine eigene Weisheit, von wo her aber auch die Kräfte des Dunklen wirken. Neu sind die großformatigen Rollbilder aus einer Spezialfolie, auf die die Malerin ihre Wasserfotos aufkopiert und darauf dann ihre Urszenerien gemalt hat. „Wir alle kommen doch aus der Salzbrühe“ sagt sie. Sparsam geht sie mit den Figuren um. Ein schmales rotes Wesen zieht sich vertikal nach oben, wird durch eine weiße Linie zu einem Kreuz, vielleicht sogar zu einem Gekreuzigten. Links davon eine Figur wie ein etwas verzogenes Viereck mit einer Art rotem Auge darin. Viel mehr nicht, aber in dieser formalen Reduktion ist viel enthalten, was den Urgrund den Menschen ausmacht. Heftiger geht es zu bei den Faunen und Geistern auf leicht rötlich-beige getöntem Grund. Man kann annehmen, dass sie ständig ihre Gestalt wechseln, mal Vögeln, mal Fischen ähneln, mal Mischwesen aus allem, was kreucht und fleucht. Dass sie, verbunden mit allem um sich herum, Energien austauschen, gewinnend und verlierend. Und dass sie, wie wir Menschen, als Männlein und Weiblein aufeinander einwirken, miteinander verschmelzen oder einander abstoßen.

Nicht mehr das Leben gebärende Wasser ist das Thema der allerjüngsten Serie von Alinde, sondern die Erde, die Asche, das Feuer. Vielfach variierte Grau- und helle Rottöne verbinden sich bildgrundfüllend, gebären nicht Leben, sondern bereiten die Unruhe unserer Erdkruste vor, die sich hebt und senkt, Gebirge auftürmt und Krater Feuer speien lässt. Obwohl sie ständig in Bewegung ist, scheint diese Materie fest. Hier spielen keine Geister. Hier herrscht ein gänzlich anderes Prinzip. Es ist sehr reizvoll, diese beiden Formen der Materie, das leichthin Schwebende des Lebens im Wasser und das gewaltig drängende der Erdelemente in diesen Bildern, zu sehen und zu vergleichen.

Schließlich im unteren Flur eine Begegnung mit einer Stille, in der dennoch Gestalt und Farbe von zeitloser Schönheit, etwa von Landschaften, oder von der ewigen Gültigkeit tiefer Gefühle künden. Gerd Jäger, als Försterssohn im Schwarzwald aufgewachsen, ist auf besondere Weise mit der Natur verbunden. Mit einer Serie von Miniaturen im Postkartenformat hat er das für die Augen Sichtbare und das Transzendente von Landschaften eingefangen. Es sind Abstraktionen, man könnte sie auch Informels nennen. Aber dem Maler ist es gelungen, trotz des kleinen Formats eine überzeugende Räumlichkeit mitzugeben. Jeder Besucher mag etwas anderes sehen: Fluss- oder Seenlandschaften, Berge, Abend- oder Morgenstimmungen, Sturmgefahr oder heilige Ruhe nach dem Sturm. Eine hoch differenzierte Farbgebung und die letztlich doch einfache Pinselbewegung, die nirgends ein Zuviel zulässt, kündet von der Meisterschaft eines langen Künstlerlebens, in dem nie die Wurzeln, die Verbundenheit zur Natur, aus dem Blick und aus dem Herzen geraten sind.

Ingrid Zimmermann