Kunsthaus Orplid


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Orplid Solln/Michael Langer

Eröffnung am Freitag, 4. April, 18 Uhr


„Homo homini lupus est“: Der Mensch ist des Menschen Wolf. So lautet bis heute ein Sprichwort. Im 2. Jahrhundert vor Christus hatte der römische Komödiendichter Plautus Asinarius diesen Satz, wenn auch ein wenig anders, formuliert, und er hatte angehängt, jener sei kein Mensch, der nicht wisse, mit wem, also mit welchem anderen, er es zu tun habe. Der englische Staatstheoretiker und Philosoph Thomas Hobbes nahm im 17. Jahrhundert den Satz auf, in einer Zeit, in der der Umgang der Menschen miteinander vom ethischen Standpunkt her sehr zu wünschen übrig ließ. Wahrhaftigkeit war kein hohes Gut, die Lüge Alltagssache. Man versteckte sich hinter Masken und so ist auch der zweite Teil des Satzes verständlich, in dem es um das - in jener Epoche nur sehr schwierige - Erkennen des Anderen geht.

Ist der Mensch des Menschen Wolf? Gewiss ist es so, aber das ist nur ein Aspekt des menschlichen Beziehungsgeflechts und es ist letztlich eine Folge dessen, was in der Frühzeit des Planeten passierte: Einzeller waren, bisher weiß niemand, warum, nicht mehr zufrieden damit, sich einzuschnüren und so, in jungfräulicher Empfängnis, sich selbst zu reproduzieren. Nun plötzlich gab es zwei, die sich finden und sich verbinden mussten, um das Dritte zu gebären. Zwei, die einander nicht mehr gleich waren. Und schon ging es los mit den Problemen. Mythische Bilder künden uns davon: Lilith und Adam, die ersten Menschen, hatten genau das Problem, das es bis heute gibt: Beide wollten „oben“ sein, in diesem Mythos sogar ganz konkret auch in der Sexualität, dieser zweiten und neueren Möglichkeit der Reproduktion, und da Gott männlich gedacht war, damals schon, wurde Lilith verjagt. Sie wird als Kinderverderberin und männerfressende Hetäre in ihre eigene Hölle verdammt und Adam bekommt mit Eva ein weniger aufmüpfiges Weibchen. Dafür muss er sich selber deformieren lassen. Endlich ist man die alte Muttergöttin los und bekommt auch noch den Erkenntnisweg eröffnet. Eva und die kluge Schlange, wie es auch im Alten Testament heißt – „Sei klug wie die Schlange“ - , verstehen sich. Jetzt ist der Mann dem Denken im Kopf und damit einer eigenen Deformation ausgeliefert, die nun aus dem Geistigen kommt. Der „Filius philosophorum“, so die Bezeichnung der Alchemisten für die Geburt des Dritten, war in der Welt.

Einer, der all dies nicht nur in Bildern einzufangen und deutlich zu machen weiß, sondern auch in Filmen und kunsttheoretischen Schriften immer neu darüber sinniert hat, ist Michael Langer, inzwischen 79 Jahre alt, Schüler von Alfred Mahlau an der Landeskunstschule Hamburg und von Xaver Fuhr an der Münchner Akademie gewesen, dann fünfzehn Jahre Experimentalfilmer, aber auch zeitweise Dozent für Kunsterziehung an der LMU München und Autor kunstwissenschaftlicher Studien, die meist unter dem Tenor „Innovation und Kunstqualität“ standen. Ende der 1960er Jahre hatte Langer den Pinsel aus der Hand gelegt und begonnen, eben jenem Beziehungssystem der Menschen mit seinen Ausuferungen und Deformationen mit der Filmkamera an die Wurzeln zu gehen und davon laufende Bilder einzufangen. In jüngster Zeit hat er sich wiederum der Malerei und der grafischen Arbeit zugewandt. Beispiele aus dem frühen Werk wie aus der allerjüngsten Schaffensepoche sind im Orplid in Solln zu sehen.

Eine Ausstellung wie diese, vom Formalen wie von den Botschaften her, hat es im Orplid Solln noch nie gegeben. Karikaturen ja, aber nicht pop art, der Michael Langer wohl offiziell zugezählt wird. Gewiss nicht ganz zu Unrecht, schließlich hatte er im Sommer 2006 in Berlin eine Ausstellung, die seine Arbeiten mit Werken von Andy Warhol zusammenbrachte. Aber man kann auch anderer Ansicht sein, denn Langer greift zum einen tiefer hinein in die Verstrickungen des persönlichen wie des kollektiven Unbewussten als die meisten pop art-Künstler, und zum anderen bewegt sich bei ihm der in der Regel mit pop art verbundene Aspekt des „comic“ endgültig weg von der lächelnden Akzeptanz. Schließlich zum dritten: Der Künstler beherrscht das Handwerk der Malerei auf bewundernswerte Weise klassisch-altväterlich. Vor allem die seit dem Neuanfang entstandenen Bilder sind schön in dem Sinne wie meisterliche Malerei schön ist, auch heute noch: Räumlichkeit und Tiefe, das Zusammenwirken von Licht und Schatten, sind ebenso da wie ein in sich stimmiger Dialog der Farben, ob sie sich wuchtig zeigen oder sensibel und selbst dann, wenn sie sich spinnefeind sind. Die Arbeiten Langers aus den Sechzigern, wenn auch von den Bildinhalten her ähnlich, sind Kinder einer anderen Zeit; die Jungen Wilden sind noch nahe, das Expressive, die lockere Hand. Die Farben allerdings, das intensive Gelb, das dem deutlich überhöhten Rosa des Hauttons Paroli bietet, das Rot, das den Schatten von getrocknetem Blut in sich trägt, das aus Blau und Gelb ermischte Grün mit seinen leicht giftigen Nuancen, sie sind schon vorhanden.

Mit den Bildinhalten geht es ans Eingemachte, geht es mit, wie schon gesagt, Schönheit und geradezu faszinierender und rücksichtslos mutiger Klarheit ans Eingemachte. Lilith, die Große Göttin, die Adam ebenbürtig sein wollte, ihm aber dank ihrer Fähigkeit zur Mutterschaft überlegen war, muss sich ihm stellen und zusehen, was er nun aus ihr macht. Mit ihrem Busen, einem rosafarbenen, alles unter sich erstickenden Lavafluss, der mit einem blutroten Nippel lockt, hat sie eine Trumpfkarte. Aber er hat auch eine: Er gibt ihr ganz oben am linken Bildrand ein dümmlich lächelndes Blondinenköpfchen. Er knickt das überdimensionierte, schwellende Bein mit dem hochhackigen Schuh, einem modernen Archetypus, einfach ab und bringt es, nun jeder weichen Rundung bar, in eine nicht mehr funktionsfähige Lage. Er lässt blühend-fleischige Schultern sich als Contergan-Ärmchen fortsetzen, die nach niemandem mehr greifen, niemanden mehr umarmen können. Riesige Fäuste, auch sie schweinchenrosa, schieben sich nach vorne in den Bildvordergrund, Finger krampfen, manche mit gelackten dolchartig spitzen Nägeln: Lilith als Katze. Einmal sind Füße mit blauem Band gefesselt, können nicht mehr treten, nicht mehr gehen, nicht davonlaufen. Heftig rot sind die Gewänder der Frauenfiguren, manchmal elegant gemustert, fast immer zusammengeschoben und zerknautscht wie nach einem Kampf. Lilith als eine Femme fatale, die nun doch unterlag.

Dennoch: Diese Bilder sind fern jeden billigen Machogerangels gegen feministische Manifeste. Es geht um Tieferes, Allgemeingültiges, Zeitloses, auch wenn die Frauen Bikinis und Pumps tragen. Es geht um die Deformation des Menschen, die er auf diese Welt schon bei seiner Geburt mitbringt, in die er gerät durch die Mutter, den Vater, durch die Nöte des Einander-nicht-Verstehens in dem, was man Liebe nennt. Insofern sind diese Bilder Metaphern des Mitgefühls und von daher wächst ihnen, vor allem jenen aus den letzten Jahren, ihre Schönheit zu. Hier hat sich nun auch ein Bildgrund hinzu gesellt, so dass man fast von einem Gemälde sprechen kann: Architektonisches und Landschaft ist da und somit eine gewisse Erdung. Freilich: Auf das Zerrbild verzichtet der Künstler nicht. Im Spiegelkabinett auf dem Oktoberfest lachen wir darüber, lachen hinweg über das Erschrecken irgendwo tief in der Herzgegend. Aber nach einem Stück ehrlichen Hineinpendelns in die Mitte zwischen diesen beiden Polen ist es dann möglich, ruhig und aufmerksam auf eines der zuletzt entstandenen Bilder zu schauen: Ein Mann und eine Frau lagern an einer Art Strand. Sie trägt einen Bikini, er einen grauen Anzug. Sie berühren sich nicht, sie sind wie sie sind: Der Kopf, der nur ein Auge hat, ist zerknetet, die Gliedmaßen sind verbogen, beide sind auf eine gewisse Weise beides, Mann und Frau, androgyne Wesen. Ruhe ist eingekehrt. Jetzt schrecken auch die ebenfalls brandneuen Arbeiten nicht mehr, in denen zwei Autos, einst makellos aus den Werkhallen gekommen, diesen urewigen Crash auszufechten hatten, so dass sie, nicht mehr fahrfähig und zu Fratzen demoliert, nun da liegen: Auch sie sind zur Ruhe gekommen.

Ergänzt wird die Ausstellung durch wundersam klare Tuschezeichnungen, in denen sehr genau gesetzte Lineaturen und Schraffuren für Licht und Schatten sorgen. Aber auch hier geht es nicht ab ohne den Gang durch das Spiegelkabinett, das wir Leben nennen.

Ingrid Zimmermann