Kunsthaus Orplid


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www.alinde.de
Orplid im Hollerhaus
Hollerhaus Irschenhausen: „Oktoberfest spezial“
Fotos von Alinde, Von Sonntag, 21. Oktober, bis 11. November.

Das Münchner Oktoberfest auf der Theresienwiese, vulgo die „Wies’n“, wurde 1810 von König Ludwig I., seinerzeit noch Kronprinz, als ein Akt der Liebe gegründet: Er wollte damit seine Braut, Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen, willkommen heißen. Hinter einem Akt der Liebe steht eine Seele und dass diese Seele noch immer da ist, noch immer wirkt, das hat Alinde Rothenfußer erfahren. Wie ein Blitz schlug dies Wissen bei ihr ein und aus dem harmlosen Wies’nbesuch, die Kamera nur so dabei, wurde ein vielstündiger Schöpfungsakt, der sie buchstäblich, als weit über hundert Motive gefunden waren, erschöpft zurückließ. 90 der Fotos hängen nun als eine Nachfeier zum größten Oktoberfest aller Zeiten mit über sechs Millionen Besuchern aus aller Welt dicht gedrängt in der kleinen Galerie „Hollerhaus“ in Irschenhausen.

Man tritt herein und sieht erst einmal: Blau! Und man hört erst einmal: nichts! Stille unter einem Himmel von zartherbstlichem Blau. Das kann doch nicht stimmen. Aber dann, in einem nächsten Schritt, schiebt sich das Rot nach vorne, die Farbe des Lebens auf diesem Planeten. Das Rot in allen nur erdenklichen Nuancen, vom sinnlichen Blutrot über das Gelbrot der Eifersucht, das scharfe Blaurot des Streits, das Violett der Heiligkeit. Es ist also doch alles da, was das Leben, massiv gebündelt auf der „Wies’n“, ausmacht und nun hört man auch einen kurzen Augenblick lang das Quietschen, Rauschen, Schreien, Murmeln, schussartige Krachen, das man den Gesang der „Wies’n“ nennen darf. Nähert man sich, um diese Fotos im Detail zu betrachten, ist wieder die Stille da und die Liebe zeigt, dass ihr auch dies Gesicht zu Gebote steht: Die Schönheit des Wunderlichen und Hehren, die aus großer Handwerksmeisterschaft und künstlerischem Gespür geborene skurrile, lustige, hinterkünftig-freche Gestalt, die erotische Lust an drallen Busen, mit der auch heute noch die Frauen in ihren offenherzigen Dirndln punkten.
Menschen kommen nicht vor, allenfalls mal als Schemen, wenn es nicht gelang, sie gänzlich aus dem Bildausschnitt herauszuhalten. Dafür aber alles, was Menschenglück ausmacht, ein Stück Seele halt, die hinter all diesen Tieren sich zeigt, hinter all diesen geschwungenen Formen, auf denen in unzähligen Knöpfen die Lämpchen sitzen, die des Nachts der Wies’n ihre Irrationalität verleihen, und die oft ausschauen als hätten sich Meeresungeheuer ausgerechnet nach München auf die Theresienwiese gewagt. Jahrzehnte alt sind die meisten dieser Schöpfungen, gemalt, geschnitzt, gebastelt, gedrechselt mit Liebe. Das springt einen, wenn man davor steht und sich einlässt, immer wieder an. Ein wenig wehmütig denkt man, ob wohl der eine oder andere der sechs Millionen ein Auge auch dafür hatte?
Ein Pferderennen war 1810 die Attraktion des Urfestes und Pferde spielen eine große Rolle an vielen der Fahrgeschäfte älteren Datums, die heute noch mit ihren tanzenden, fliegenden, sich drehenden, mehr oder weniger bequemen Sitzen zum Mittun einladen. Stolz heben sich Lippizaner im Gepränge ihren geschmückten Zaumzeugs auf ihre hölzernen Hinterhax’n, ein wenig melancholisch blickt ein Schimmel mit schwarzen Ohren, Augen und Mähne aus einer Wand heraus wie das Haupt des Fallada im Märchen. Die hölzernen Mickymäuse, die hinter ihm auf dem Gestänge herumklettern, sind ihm höchstens in der Geisterstunde ein Wort wert. Aber wann ist auf der Wies’n schon Geisterstunde? Wenn um vier Uhr morgens die Bierleichen schnarchen? Ein Schimmel dieses fürstlichen Geblüts ist erhaben über solch menschliche Schwächen.
A propos menschliche Schwächen: Engerl und Teuferl hat die Fotografin zu Hauf entdeckt. Ein giftig roter Gottseibeiuns lockt so ein süßes zartes Engerlkind herbei und reißt es, flugs, mit sich hinunter in die Höllenregionen. Ganz in der Nähe ein großes Schild vor goldgelbem Vorhang „Heute Hinrichtung“, daneben das Konterfei eines Mannes: Seine Haare stehen zu Berge, aber Augen und Mund zeigen, dass er es genießt, „mit Entsetzen Scherz zu treiben“, wie der Dichter sagt. Das ist ein Stück vom dunklen, vom sehr menschlichen Teil der „Wies’n“-Seele. Karl Valentin und Liesl Karlstadt, als locker aus der Hand mit Rot und Blau gemalte Karikaturen entdeckt, waren in ihren Sketchen oft ganz nahe daran. Dann wieder Jagdszenen, diesmal aus Oberbayern: Ein Prachtvieh von einem Hirschen steht vor unserer Bergkulisse. Die Palmen aus gewachstem Segeltuch gewickelt und die Südseeszenerie in seiner Nähe sind ihm ziemlich wurscht, vermutlich auch der hölzerne Elefant mit seinen großen dunklen Menschenaugen. Eine Seite des Raums ist gänzlich den Tieren gewidmet, die es gottlob auch heute noch in unseren Wäldern gibt. Es müssen glückliche Maler gewesen sein, die ihnen mit ihren Pinseln zum Leben verholfen haben: Kluge Eichhörnchen auf einem Zweig balancierend, Feldhasen beim Techtelmechtel, ein etwas missglückter Dackel, der wohl kaum eins von ihnen einholt. Allein diese Szenerien, mit Herz und Humor einer Nachwelt erhalten, die längst auf andere Werte getrimmt ist, sind den Besuch der Ausstellung wert.
Ein völlig anderer Bereich zeigt, dass Alinde Rothenfußer auch der Zugang zur Kunstfotografie zur Verfügung steht. Gemeint sind die Abstraktionen, die sich aus dem Vielerlei von Gestängen, Masten, Gleisen und anderen zum Betrieb notwendigen Konstruktionen ergeben. Hier heißt es mit viel Geduld das rechte Zusammenspiel der Strukturen, das beste Licht, die geeignetste Entfaltung der Schatten aufzuspüren. Einige bis auf das Wesentliche reduzierte Fotos sind dabei ebenso entstanden wie Informels nur aus Lineaturen.
Ein winziges Fraktal von der Seele der Wie’sn mit heim zu nehmen und in einem keuschen Eckchen im Herzen bis zum nächsten September würdig zu bewahren, das ist Besuchern zu wünschen.
Ingrid Zimmermann