Kunsthaus Orplid


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Einladung zur Welterwärmung
im Orplid Icking
Arbeiten von Irma Hünerfauth, Alinde,Walter Tafelmaier, Peter Zeiler.
Eröffnung Freitag, 16. November, 18 Uhr.

Es scheint nur vernünftig, den Besuchern der aktuellen Ausstellung im Orplid in Icking ein paar philosophische Gedanken mit auf den Weg zu geben. Allein schon der Titel, Einladung zur Erderwärmung, ist doppelbödig. Sich für etwas erwärmen ist doch eine wunderbare Sache und das Herzerwärmende gar streut Rosenblätter in menschliche Beziehungen. Von der beglückenden Wärme der ersten sonnigen Märztage nicht zu reden. Jetzt aber haben wir unseren blauen Planeten – blau steht eher für Kühle – so aufgeheizt, dass es uns allen unter den Nägeln zu brennen beginnt. Was hat es denn auf sich mit der Wärme, der Hitze, der Glut? Letztlich ist es die Spannung zwischen zwei Polen, die Reibung zweier Stoffe aneinander, durch die Wärme erzeugt wird. Das ist gut bis zu einem bestimmten Maß. Dann springt es um und wird höllisch, wird Kampf und Krieg. In einem erheblichen Teil der Arbeiten in dieser Ausstellung geht es genau um dies: Um die heiß lodernde Lust und den kalten Schrecken von Anziehung und Abstoßung, um die gefährliche Grenzgängerei entlang des Abgrunds, in den man nicht fallen darf, weil dort die Lemuren lauern, die Angst, sich zu verlieren, die Angst, gefressen zu werden, letztlich die Angst vor dem Tod. Wer anders als der Künstler kann dies alles bildhaft machen. „Da werden Weiber zu Hyänen und treiben mit Entsetzen Scherz“ schrieb Schiller in seinem „Lied von der Glocke“. Es wurde zum geflügelten Wort, auf die Ebene von seichtem Geplänkel oder allenfalls bitterem Spott aus eigener Verletztheit verschoben. Tatsächlich hat der Dichter aber nur ein dramatisches Bild gefunden für die eine Hälfte des Menschheitsdramas, die mit der anderen Hälfte im Clinch liegt.

Bei Peter Zeiler geht es um den „Geschlechterkampf“, ein schon etwas antiquiertes Wort, das aber seine Bedeutung nicht verloren hat. Bei Freud und später in anderer Form bei Carl Gustav Jung ist die Rede von der Angst und gleichzeitig der Begierde des Mannes, von der Frau, in der er meist auch die Mutter sieht, verschlungen zu werden. In seinen großformatigen, expressiven Zeichnungen mit dem scharfzackigen Linienwerk, dem polaren Schwarzweiß als kosmisches Grundthema und dem Blau, der männlichen Farbe, und dem Rot, der weiblichen Farbe, führt er dem Betrachter intime Szenen vor Augen, in denen es drastisch um Sexuelles zu gehen scheint. Was zu sehen ist, ist tatsächlich der Geschlechterkampf zwischen den Polen heißer Lust und dunkler Angst. Die Körper sind die Werkzeuge, die das geistige Prinzip, das dahinter steht, ausdrücken. Interessanterweise trägt die männliche Figur bei Zeiler häufig in sich wie in einem Uterus eine Frau oder manchmal ein Kind, rund und mit angezogenen Knien wie ein Embryo. Das Wesen schwimmt zwar in seinem Leib, aber es nimmt ihm auch Platz für das Eigene. Oder hat er sich nur der Bedrohung entledigt, so wie Zeus seine erste Frau, Metis, samt deren Kind, das sie im Leib hatte, verschlang? In der Kaltnadelradierung „Josef und Maria“ geht es um anderes: Das Kind ist in Marias Bauch, Josef sitzt ihr gegenüber am Tisch, in der Mitte zwischen ihnen ein wuchtiges Wesen. Aus den Augen in seinem großen Kopf laufen Tränen. Aus Erbarmen? Eine andere Radierung hat den Titel „Zeigen müssen“. Ein wohl männliches Wesen hält sich eine Puppenfigur vor das Gesicht. Sie hat große erschreckte Augen, wie der Mann selbst, und wedelt wie ein Insekt mit Flügeln. Der Mensch und seine bange Frage, was er denn sei, variiert Peter Zeiler auf vielfache Weise, mutig, ehrlich, schonungslos und unantastbar im künstlerischen Ausdruck.

Bei Alinde sind die Pole, zwischen denen die Reibung passiert, von gänzlich anderer Art. Auf farbigen Untergründen, je nachdem weniger oder mehr in sich strukturiert, nimmt sie sich die Freiheit, mit Pinsel und Farbe Gnome, Chimären, Gespenster in wallenden Gewändern, Tiefseeungeheuer, Engelchen und Teufelchen, Rheintöchter in einer brodelnden Suppe, wohl auch die eine oder andere Seelenform, die erst noch etwas werden will, zu erschaffen. Was sie alle gemeinsam haben, ist, dass sie schweben, schwimmen oder tanzen. Erdenschwere fehlt ihnen gänzlich. Entrückt scheinen einige zu lächeln. Aber ist das nicht der Totentanz, dem in Goethes Gedicht der entsetzte Klöckner zuschauen muss, weil er einem von ihnen das Hemdchen gestohlen hat und nun ein Gerippe über die Gräber tanzen muss? Konkretes kann durchaus auch vorkommen: Ein Käfertier, das einen Wurm frisst, oder Bruno, der Bär, der einst ein Bärenbaby war und dann zu einer blutfarbenen Wolke zerschossen wurde. Einige der Hintergründe zeigen sich in einem Weltuntergangspink, als habe ein übler Chemiebrand den Himmel verfärbt. Aber selbst da tanzen sie darüber, die Wesen, als gehe sie alles nichts an...

Da es im folgenden um Walter Tafelmaier geht, der über Jahrzehnte einer der bekanntesten Graphiker und Designer in Deutschland war, gleich der harte Schnitt: „Über Leichen“ ist der Titel einer Mischtechnik, die eine schwarze Figur zeigt, die ungerührt über einen rot blutenden Menschenkopf hinwegtritt. Der Tod ist nicht weit im Werk Tafelmaiers, aber, wie es seine Weise ist, nicht melodramatisch oder zumindest lamentierend umschlichen, sondern hart, verdichtet auf Wesentliches, ein Solitär in der Bildmitte. Nichts lenkt ab, Dekor ist unnötig. Ein nackter Schädel in nachtfinsterem Schwarz, auf Knochenbeinen stehend. Ein Gehenkter in Grau mag neben ihm zu sehen sein. Ein Totenschiff gibt es zwar und der erregte Mann, dies Symbol wollüstigen und gleichermaßen schöpferischen Lebens, ist auch bei Tafelmaier zu finden. Aber, fragt man sich, ist das noch ein Körper, der sich da zeigt, nicht schon eher Verfall, eine Auflösung? Einen „Kopflosen“ gibt es zu sehen, eine verworrene, schräg nach unten stürzende Figur, einen Dickbäuchigen mit tief traurigem Gesicht, einen Dürren mit Armen wie Stöcke, dem der Kopf auf die eigene Brust herabgesunken ist. Was sich trostlos anhört, ist es letztlich nicht, wenn man ein Stück mehr weiß vom Gesamtwerk Tafelmaiers. Der eine Teil seines Themas ist zwar das Stürzen, das Fallen und das Gestoßenwerden von innen her, aber dies alles sind Bilder, die eingebunden sind in eine Urform, die des heiligen Berges, die vom Einzelnen sisyphusmäßig zu erklimmen ist wie von der Menschheit als Gesamtes in der unablässigen Arbeit der langsamen Vervollkommnung. Walter Tafelmaier hat dafür Formen von großer Reinheit, Klarheit und Schönheit gefunden. Dies ist es, was es zu sehen gilt.

Irma Hünerfauth, 1907 geboren, bis zu ihrem Tod in Großhesselohe lebend, zweimal mit namhaften Künstlern verheiratet, war bisher noch nicht in Ausstellungen im Orplid vertreten. Sie war eine Frau, die die Reibung bis zum Ausbrechen des Feuers in sich hatte. Eine Frau, die massiv in die gemeinhin männliche Domäne der Schrottplastik einbrach, die eine „Lustboje“ aus allerlei Metallteilen zusammenbaute, auf die man sich mit gespreizten Beinen hocken und eine harte Eisenzunge begucken konnte, die von einem Schwengel auf einem Mundloch herausgetrieben wird. Dies ungeheuerliche Trumm, farbig bemalt, ist ebenso Teil der Ausstellung wie eine Stele mit dem Kopf einer Kupferwärmflasche obendrauf, aus der Töne dringen, sobald man eine Lichtschranke durchschreitet: „Äppelwoi un’ Pälzer Worscht“ klingt es da, dumpf und stumpf, immer wieder. Helmut Kohl war das Vorbild für das „Klangobjekt mit Eigengeräuschverstärker“ wie die Beschreibung der Arbeit von 1985 offiziell lautet. Einige weitere verrückte Gestalten, zusammengebaut aus Teilen von Maschinen oder Hausgeräten, sind da, doch zwei weitere Werkbereiche von Irma Hünerfauth sind ein ganz besonderer Anziehungspunkt: Die Künstlergebetbücher und die Klangkästen, aus denen Geräusche und kratzende Musik ertönen kann. Für beides musste diese Frau, die sich nicht scheute, schwere Stahltrümmer zu Skulpturen zusammenzuschweißen, geradezu Elfenfinger haben, um diese winzigen Teilchen, Perlen, Knöpfe, Puppenaugen, gedruckte Schaltungen und nadeldünne Metallstäbe, wie zu kleinen Zauberwäldern in bühnenartigen Kästen zusammen zu stecken. Wie es sich in Zauberwäldern gehört, neigen sich alle diese kleinen Teilchen und drehen sich in einem rhythmischen Tanz. Die Künstlergebetbücher, Leporellos auf Leiterplatten, die mit Scharnieren verbunden sind, wirken wie kostbare Kleinodien, die in glitzernder Geheimschrift ihre Botschaft verkünden, die nicht der Kopf, nur das Herz lesen kann.

Ingrid Zimmermann