Kunsthaus Orplid


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www.alinde.de
CHRISTOPH WIEDEMANN
REDE ZUM OFFENEN ATELIER

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Alinde Rothenfußer,


für mich, sicherlich auch für Sie alle, ist eine Vergnügung der besonderen Art, wenn es alle paar Wochen wieder heißt:
Orplid - ob in Solln oder wie jetzt hier in Icking- lädt ein.

Was ich dabei entdeckt habe ist eine Kunstgemeinde, die getrieben ist – nicht von den üblichen Eitelkeiten zwischen Sehen und Gesehen werden. Auch nicht von irgendwelchen materiellen Spekulationen, die sich um Kunst ranken können. Und genauso wenig herrscht hier die oft so steife Anbetungshaltung gegenüber dem Kunstwerk. Wie auch, dafür gibt es ja speziell in diesem Haus und am heutigen Abend viel zu viele davon. Das allein leistet einem relativ natürlichen Umgang mit den einzelnen Bildern schon Vorschub.

Alinde Rothenfußer hat mich eingeladen, heute Abend einige Worte über die neuesten Arbeiten zu sprechen. Was ich hiermit versuche. Denn ein Problem gibt es natürlich. Wie soll man ein Phänomen in Worte fassen. Das Phänomen besteht darin, dass jemand in so kurzer Zeit – ich glaube kaum eine der Arbeiten heute Abend ist älter als ein bis zwei Jahre – so eine Produktion auf die Beine stellt. Na ja kann man sagen, die sieben Kinder sind aus dem Haus. Und wer sieben Kinder groß gezogen hat, braucht wohl einiges an Organisationstalent, das jetzt eben brach liegt und umgewidmet werden kann . Könnte ja sein.

Auf der anderen Seite fühlt sich das Ganze an, wie ein reißender Sturzbach. Da steckt Obsession dahinter und Kraft. Wie also nähern diesem Phänomen?

Im Grunde kann ich das niemand von Ihnen abnehmen. Bei jedem wecken diese Bilder andere Assoziationen. Schließlich handelt es sich ja auch um eine mythische Kosmologie von geisterhaften Anmutungen, schimärenhaften Andeutungen, märchenhaften Erzählungen. Ich kann nur Vorschläge machen und eigene Beobachtungen formulieren. Wie nähert man sich also? Ich finde es in der Regel ganz hilfreich, Vergleiche heranzuziehen um daran das Besondere herauszuarbeiten. Dann ist die Technik von Interesse. Effizienz spielt eine Rolle. In welcher Relation stehen die eingesetzten Mittel zum Resultat? Und schließlich kommt die Kür: Was habe ich als Betrachter davon? Wohin bringt es mich?

Um ganz einfach anzufangen. In den fünfziger Jahren gab es von Paris ausgehend eine künstlerische Bewegung die sich Affichisten nannte. Wolf Vostell oder der Römer Mimmo Rotello gehörten dazu. Sozusagen als Vorläufer des Noveau Realisme versuchten sie, ein neues Fundament von Wirklichkeit zu definieren. Ihr Forschungsfeld waren die vielfach überklebten Pariser Plakatwände. Jeder kennt das. Man steht vor einer Plakatwand. An den Seiten rollen sich die Ecken auf. Darunter werden wie die Jahresringe eines Baumes, die vielfach vorher aufgeklebten Werbungen und Ankündigungen der Vergangenheit sichtbar.

Reißt man die Oberfläche weiter auf, kommt immer mehr Vergangenes zum Vorschein. Zeit wird sichtbar, aber auch, wie trügerisch die vermeintliche Realität sein kann. Worauf kann ich mich verlassen? Was ist real? Was ist Fiktion? Oder fließt nicht am Ende eins ins andere. Und jeder erneute Blick bringt neue Wahrheiten. Die Realität als Vexierbild und immer wieder neu zu definierende Wahrheit. Wenn es die überhaupt gibt.

Die Bilder von Alinde Rothenfußer haben damit zu tun, denn was sie macht ist letztlich auch nichts anderes als eine Interpretation von Wirklichkeit.
Womit wir zwangsweise beim Technischen gelandet wären. Eigentlich sollte ich ja nicht allzu detailliert über Werkstattgeheimnisse sprechen.
Warum ich es doch tue hat einen einfachen Grund. Technik ist nicht alles. Die Umsetzung ist wichtig. Und schließlich: wenn ich weiß, wie etwas geht, hab ich noch immer nicht das gestalterische Geheimnis gelüftet. Also: Das Geheimnis heißt Quarzbichl. Quarzbichl ist der nahe gelegene Wertstoffhof, der Alinde quasi das Rohmaterial liefert. Die Bilder sind überarbeitete Fotos von gepresstem Kunststoff-Abfall, von rostendem Container-Stahl, von optischen Fundstücken im Abraum unserer Konsumgesellschaft. An sonnigen Tagen– das ist wichtig- geht die Künstlerin dort auf Jagt nach Motiven. Die Bearbeitung der Ausbeute erfolgt anschließend über Tage und Monate im Atelier.

Aus den eingefangenen Strukturen werden Geschichten destilliert. Hier sind in den Fetzen einer blauen Spülmittelflasche, Umrisse eines tanzenden Körpers zu entdecken. Schnell markieren und weiter. Dort das Gesicht eines bedrohlichen Alten. Im früheren Leben war er vielleicht mal ein Fruchtzwerg. Der Joghurtbecher taugt zum Fisch. Und schon ist eine Geschichte gefunden, der Blick vom Betrachter gelenkt aber auch befreit. Wer hätte je wahrgenommen welche Farbenvielfalt die vielen Müll-Container haben, die täglich durch die Gegend kutschiert werden, wenn Madame Rothenfußer diese Buntheit nicht in Kabinette verwandelt hätte. Der Gang durchs Haus erzeugt buchstäblich einen Farbenrausch. Hier eine Wand in Rosa, dort alles in Blau. Dann wieder Gift-Grüne Unterwasserwelten in Rost und ein Circus in Rot, der plötzlich aufscheint, nur weil ihn Alinde Rothenfußer in den Beulen und Dellen einer Containerwand zum Leben erweckt sehen wollte.

Großes Kino mit kleinsten Mitteln! Ziemlich großartig! Weil –sie werden es feststellen, wenn sie hier rausgehen – plötzlich die Augen aufgehen. Die für den Alltag durchaus geratene Eindimensionalität der Wahrnehmung weitet sich. Und man ist geneigt zweimal hinzusehen und dabei vielleicht festzustellen, wie trügerisch Wirklichkeit sein kann. Im weitesten Sinne natürlich Wahrheit auch. Oder ist alles nur eine Sache von Definition und Konvention?

Eine der beeindruckendsten Beschreibungen zu diesem Thema hat vor zweieinhalb Jahrtausenden schon ein Grieche verfasst: Man stellte sich vor Menschen seien mit dem Rücken zum Eingang in einer Höhle angekettet. Alles was die Außenwelt an Erscheinungen bietet nehmen die so Eingeschränkten nur als Schattenrisse an der vor Ihnen liegenden Wand wahr. Würde man nun einen losketten und ihn vorübergehend die Dreidimensionalität unserer gewohnten Welt aussetzen, um ihn dann den Höhlenbewohnern Bericht erstatten zu lassen. Niemand dort würde ihm glauben. Es fehlten die Kategorien für eine dreidimensionale Wahrnehmung. Jeder kennt das: Die Geschichte stammt von Platon. Es ist das so genannte „Höhlengleichnis“, mit dem der Philosoph die Tücken der Wahrnehmung und Erkenntnis verdeutlichen wollte. Sind die Dinge wirklich so, wie ich glaube zu wissen? Oder ist nicht auch das Gegenteil vorstellbar. Rostige Container weisen in die Zukunft und Plastikmüll enthält ungeahnte Wahrheiten. Na ja, wer weiß. Ist vielleicht ein wenig hoch gegriffen. Eines jedenfalls ist sicher. Die Blickverschiebungen hier an den Wänden bringen einen bei aller Unterhaltsamkeit zum Nachdenken. Selbstverständlichkeiten sind nicht selbstverständlich. Und wenn sich die Hierarchie der Dinge auf den Kopf stellen lässt, warum nicht auch die des Lebens?

Für mich, eine große Vergnügung diese Ausstellung. Unprätentiös, spielerisch und mit einem Schuss Anarchismus. Ich glaube, eben so wie die Künstlerin selbst ist und wie sie sich dementsprechend auch ihre Gäste aussucht. Denen ich hiermit einen anregenden Abend im Haus dieser obsessiven Weltendeckerin wünsche.

Ich danke