Die Wert-Schöpfer Anmerkungen zu "Der Demiurg" - offenes Atelier bei Alinde mit den Gästen Inge Doldinger, Ruth Kohler und Helmut Rieger "Ein Wort oder ein Bild ist symbolisch, wenn es mehr enthält, als man auf den ersten Blick erkennen kann. Es hat dann einen "unbewussten" Aspekt, den man wohl nie ganz genau definieren kann. So gelangt der menschliche Geist zu Vorstellungen, die sich dem Zugriff des Verstandes entziehen". C. G. Jung Raus mit der Sprache! Was hat das mit den Bildern heute zu tun? Nun, das Zitat stammt aus C. G. Jungs erster Schrift über die "Archetypen". Jung übernahm den Begriff aus der antiken Überlieferung und bezeichnete damit die im kollektiven Unbewussten, zu allen Zeiten und in allen Kulturen geltenden Urbilder menschlicher Vorstellungsmuster. Er sieht im schöpferischen Prozess eine "unbewusste Belebung des Archetyps und dessen Entwicklung und Ausgestaltung bis zum vollendeten Werk". Wobei die Gestaltung eines Bildes gewissermaßen eine Übersetzung in die Sprache der Gegenwart ist. Auch in der Kunst von Alinde und ihrer drei Gäste gibt es eine solche Verarbeitung von Bewussten und Unbewusstem: Eindrücke, Träume und Visionen, die in ähnlicher Weise wie die "écriture automatique" der Surrealisten als unmittelbarer Ausfluss des Unbewussten zu Papier gebracht werden. Während der Arbeit werden sie zu einem subtilen Spiel von Zufall und Absicht, zu Relikten des vorher Geschauten und somit die Leinwand zum Haftgrund des Unbewussten, das sich konkretisiert und in spannungsgeladenen Werken sichtbar wird. Was aber an den heute hier zu entdeckenden Bildern so beeindruckt, ist die scheinbare Mühelosigkeit, mit der ihnen diese Sichtbarmachung des Unbewussten gelingt. Die Schärfe der Prägnanz, mit denen sie uns einen magischen Blick auf die eigene Innenwelt eröffnen. Zugegeben, in der heutigen Zeit sind wir alle doch äußerst ausgelastet mit den äußeren Umständen. Viele sogar zu sehr, um sich noch auf das Wesentliche konzentrieren zu können. Manchen bleibt da nur der Aktionismus, das Extremrudern im Sinnsirup. Aber die Künstler hier und heute schaffen keine bildlichen Duftkerzen zur mentalen Betäubung. Alinde und ihr Triumvirat machen uns perfekt klar: Das Leben ist Verhandlungssache. Manchmal auch ein Theatre du Pain, das zu drastischen Taten zwingt. Und sie zeigen uns den Demiurg in sich. Ein Wesen, das als Schöpfer, also als bewusster Former des Chaos auftritt. Dabei bedient er sich magischer – damit göttlicher – Macht. Was in unsere Sprache übersetzt nichts anderes als Inspiration ist: Um den Demiurgen sammeln sich Ideen, Geistesblitze, Möglichkeiten, die aus dem Ist- Zustand in sein Unterbewusstes fließen. Dort werden sie nach Erfahrung sortiert und tauchen dann nach und nach als Inspirationen auf. Viele solcher Ideen werden sogleich wieder vergessen – und haben somit nie existiert. Andere aber manifestieren sich im Kopf des Schöpfers und werden schließlich von ihm geformt. Der Demiurg ist also auch ein bisschen wie ein Kind, das Sandburgen baut. Jeder Mensch hat diese Macht des Demiurgen, doch nur wer diese Fähigkeit bewusst und gekonnt kultiviert, wird die Möglichkeiten der Kunst und des Menschseins begreifen: „Ich schaffe, also bin ich“. Für den Betrachter mag es einerlei sein, welchem Komplex die Arbeiten angehören. Trotzdem spürt man das Faszinosum, wird man ergriffen, erhoben und emotional berührt von der ungeheuren Kraft, dem Risiko und der Reflektiertheit, die dieser Kunst innewohnen. Alinde und ihre Gäste reißen die Welt auseinander, um sie neu zusammenzusetzen. Und sie haben dadurch dem, was das menschliche Leben in der Tiefe ist, sichtbare Gestalt gegeben. Kein geringes Verdienst in dieser oberflächlichen Zeit! Jóhanna Sigurðardóttir M.A. |