Kunsthaus Orplid


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Flohmarkt im Hollerhaus
Fotos von Alinde Rothenfußer

Es war Frankreich mit seinem gallischen Witz, wo der „Marché des puces“, der Flohmarkt, erfunden wurde, und das schon vor ein paar hundert Jahren. Das Volk konnte auf solchen Märkten abgelegte Klamotten der Adeligen kaufen, samt den darin noch ansässigen Flöhen. Heute gibt es Flohmärkte in vielen Ländern, in kleinen Garagen wie auf meilenlangen Plätzen. Vor allem aber gibt es die Spezies der Flohmarktsüchtigen, die einer völlig ungefährlichen, lustbringenden Sucht anheim gefallen sind. Zu den Flohmarktsüchigen zählt Alinde Rothenfußer, die ihre eigene Form von Sucht entwickelt hat: Sie beschaut die Schätze, die sich da auf die abenteuerlichste Weise zusammengefunden haben, mit dem Auge der Kamera. Nicht nur in Deutschland war sie mit ihrer Flohmarkt-Spürnase unterwegs, sondern auch in anderen Kontinenten. Was dabei herauskam ist ein Bilderflohmarkt, der im Hollerhaus in Irschenhausen betrachtet werden kann.
Ihre Fundstücke, nun auf großformatiges Fotopapier gebannt, hat die Künstlerin auf besondere Weise geehrt: Sie wurden gefasst in kostbare Rahmen und in sauberen Reihen, vermessen mit der Wasserwaage, gehängt. Denn, so sieht es Alinde Rothenfußer, „Flohmärkte sind Leben pur und deshalb sind sie zu ehren. Man sieht, wie alles kommt und geht, wie Epochen und Stile aufeinander folgen, wie ein Stück, geliebt und geherzt, eines Tages seinen Sinn verliert und dahinstirbt, zerzaust, zerrupft, zerlesen, abgewetzt durch tausend Berührungen, vielleicht nun einäugig oder mit Beulen versehen.“

Wahllos Schnappschüsse einzusammeln, das reicht der Fotografin und Malerin allerdings nicht. Sie sieht so etwas wie energetische Konstellationen oder innere Zusammenhänge, spürt, was zueinander eine Brücke bildet oder wo sich aus scheinbarer Wahllosigkeit Polarisierungen, reizvoll oder absurd, ergeben haben. Zudem gibt es freilich auch Themen-Flohmärkte, die sich ebenfalls im Hollerhaus finden lassen.

Bücher, in so vielen Haushalten überzählig, gehören stets dazu. Thomas Manns „Lotte in Weimar“ hat als Bewacher ein schon ein wenig grau gewordenes Bambi aus Stoff gefunden, dem jemand einen winzigen Sattel umgebunden hat, der vielleicht vorher auf einem stolzen Rösslein saß. Ein braunes Hündchen mit Hängeohren und neben ihm eine nackte Puppe mit Strahleaugen, die die Arme ausbreitet, um hochgenommen zu werden, beide mit kleinen schwarzen Schmutzflecken im Gesicht, wurden hineingestopft in ein doppeltes Bett, einer alten Eisenkiste und, schräg darin steckend, einem zerbeulten Bananenkarton. Zwei Kunstpelztiger, ungerührten Blickes, haben eine Reihe alter Pelzmäntel auf einer Stange zu bewachen. Gleich daneben, ehemals des Jägers Stolz, Rehgehörne auf Holzschilden, nun achtlos übereinander geworfen. Auf einen anderen weißen Knochenschädel, aus dem schwarze Hörner herauswachsen, hat jemand ein Raubtiergesicht geklebt. Vielleicht eine Reminiszenz an eine Afrikareise. Aus einem kleinen bemalten Lastauto, das bessere Tage gesehen hat, schaut ein Hase aus Stoff heraus, nicht weit davon hockt ein nachtschwarzes Negerpüppchen mit Kulleraugen, wie es noch vor ein paar Jahrzehnten, anders als heute, keineswegs als diskriminierend indiziert wurde, in einer anscheinend ziemlich roh handgetöpferten Tonschüssel. Sein Spitzenkleidchen ist noch ziemlich weiß. Ganz traurig, so dass man eigentlich darüber weinen möchte, ein anderes Ensemble, das von leider längst verloren gegangenen Zeiten der Liebe kündet: Ein abgeliebter Teddybär, der Jahre als Trost herumgeschleppt worden war, und ein Gummielefant, dem die Farbe verloren ging, liegen auf einem längelang ausgestreckten Osterhasen mit dem Gesicht nach unten. Man möchte ihn herausziehen und wenigstens wieder ordentlich hinsetzen.
Der Kopf von Botticellis Venus, herauskopiert und als Schlafzimmerbild vergrößert, bekam als Begleiter einen Hut und eine speckige Lederjacke. Dahinter, naiv und bunt, eine Mutter mit Kind vor einer wilden Berglandschaft. Überhaupt fällt auf, wie sehr der Mensch eben doch sich Trost und Hilfe erhofft von den Devotionalien, die ihm seine christliche Kultur anschaulich und sogar anfassbar machen und die dann, wenn ein Leben zu Ende gegangen ist, den Nachkommen nicht mehr taugen, so dass sie auf dem Flohmarkt landen. Eine Madonnenfigur in einem Kleid aus verblichenem Stoff hat als Nachbarn eine ET-artige Comicfigur, hinter ihr Bücher aus einer anderen Zeit, darunter, in Leinen gebunden, Waldemar Bonsels Biene Maja, die, einst in Ambach am Starnberger See geschrieben, später von Hollywood aus Weltkarriere machen sollte. Große Flügel und eine Aura von Licht um sich hat der Schutzengel, der die beiden drolligen Kinder sicher über die zerlöcherte Brücke führen wird. Eine andere Madonna bewacht ein Kohlebügeleisen, hinter das sich eine Kopie von Dürers Selbstbildnis mit dem Habitus eines Christus geschoben hat. Ein Corpus aus Metall, dem das Kreuz verloren gegangen ist, hat einen Platz gefunden, der sich durchaus als symbolisch bezeichnen lässt: Rundherum haben sich fröhlich-farbige Paare von Damenschuhen versammelt. Eine Maria mit Kind, ein Druck, gewiss viele Jahrzehnte alt, hat sich gut gehalten in einem kaum zwei Handspannen hohen, schnörkeligen Barockaufsatz aus Blech. Daneben ein Glaskasten mit Käfern und Vogelspinne, davor ein Flederwisch in einer schlanken Glasvase, wie sie in den Fünfzigern modern war. Was für Lebensromane ließen sich erzählen allein nach diesem Stilleben.

Ingrid Zimmermann