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www.alinde.de
Rede zur Ausstellung „Helmut Sturm. Blick ins Atelier. Fotos von Alinde“
Eröffnung am 21. Februar 2012, ORPLID MÜNCHEN-SOLLN

Meine Damen und Herren,
zu den schönsten und auch folgenreichsten Errungenschaften unserer Kultur gehört die Künstlerfreundschaft. Diejenige zwischen Helmut Sturm und Alinde überdauerte den Tod. Vor fast genau vier Jahren, am 19.02.2008, verstarb der große Münchener Maler. Alinde hat dem Andenken an seine Person und an seine Kunst diese Ausstellung gewidmet. Nicht als eine wie auch immer präsentierte und ausgewählte Schau von Original-Malerei aus seinem gewaltigen Schaffen. Nein, als Blick der geübten Fotografin – die Alinde ja auch ist, neben der Malerin – auf Helmut Sturms Pullacher Atelier. Der Ort also, der erst einmal bleibt, wenn er von dem Körper und dem Geist, die ihn erfunden, eingerichtet und beseelt haben, verlassen ist.
Einen Tag nach dem Tode von Helmut Sturm hatte Alinde Helmuts Frau Veronika gebeten, das Atelier, das nur wenige betreten durften und wie es gewissermaßen noch die körperliche und geistige Wärme seines Schöpfers barg, fotografisch festzuhalten. Denn dass diese Situation des Ateliers nicht lange aufrecht zu halten war, ja bei keinem verstorbenen Künstler konserviert werden kann, ohne dass Bedeutungen sich verschieben und aus einem lebendigen Atelier dann ein totes Museum wird, war evident.
Alinde hat das einzig richtige getan: Sie hat im dokumentierendem Medium der Fotografie der Nachwelt einen ganz und gar authentischen Eindruck des gelebten Künstlerlebens von Helmut Sturm erhalten, ergänzt von Fotografien, die ihr Thomas Niggl vom Atelier in Tortigliano gegeben hat. Das ist eine andere Aussage als die eines Gemäldes bzw. einer Gemäldegruppe. Denn das eigentliche Werk vermittelt primär seine Binnengestaltung und ist insofern unabhängig von der Umgebung zu erleben, sonst würde es schließlich kaum sich zum Verkauf eignen. Es ist also autark.
Der Kontext, in dem das Werk entstanden ist und von dem das einzelne Bild sich als abgelöst zeigt, also die Werkstatt als zurückbleibende Matrix der Farben – und Formenschöpfung, liefert eine tiefer liegende Einsicht in die Disposition des Schöpfers und in die Bedingungen der Herstellung der Werke.
Im Fall von Helmut Sturm begreifen wir in wenigen Sekunden, wie da ein lebenslang von der Farbe Berauschter mit den Objekten seiner Obsession umgegangen ist: Mit all den Farbmassen auf den zentnerweise gestapelten und geschichteten Bildern, in manischen Arbeitsgängen, die wie das Wasser den Stein der Tropfsteinhöhlen ablagernd formt, die Farbe so bizarr ballt und verteilt, dass man glaubt, auf Friese aus Farbklecksen wie auf Reihen von Menschen zu blicken. Alinde hat das so fotografiert, dass der erste überwältigende Eindruck beim Betreten des Raumes der einer Gemäldegalerie in Petersburger Hängung ist. Erst bei genauerem Hinsehen bemerken wir die dokumentarische Absicht: Töpfe, zerknüllte und bemalte Dosen, Ausschnitte aus Gemälden und durch Farbe verfremdete Winkel im Garten sind erfasst. Immer jedoch stellt die Fotografin über den dokumentierenden Zweck zugleich eine synthetisierende Farbfläche her. Der farbige Raum fällt gewissermaßen in diese planen Flächen hinein.
So baut sie das große Mysterium der Farbe nach, welches Helmut Sturm als den überragenden Hexenmeister der Farbe, diesen weißen Magier mit seiner dezidiert menschlichen, eben nicht satanischen Maßstäblichkeit beschwört. Die Präsentation, wie wir sie hier erleben, ist eine, in der sich die Malerin Alinde völlig zurückgenommen hat. Sie zeigt hoch kompetent und aufregend, wie gut sie den Freund und seine Malerei verstanden hatte. Sie hat ihm eine Ausstellung gewidmet, die nicht seine Werke, sondern die Poetologie seines Schaffens zeigt.
Lassen Sie mich zum Schluss über den Maler Helmut Sturm noch ein paar Worte sagen, denn für mich war er der erste Münchener Künstler, mit dem ich nach meinem Eintritt ins Kulturreferat der Landeshauptstadt München zu tun hatte. Das war im Mai 1978 und der Beginn einer langen Freundschaft. 25 Jahre später, im April 2003, habe ich dann meine letzte Rede über ihn gehalten, zur Eröffnung seiner Ausstellung in der Münchener Rathausgalerie.
Helmut Sturm hat das künstlerische Gesicht dieser Stadt geprägt, in einem Ausmaß wie wohl kein anderer zeitgenössischer Künstler hier. In über 50 Jahren Malerei ist von ihm ein Werk gestaltet worden, das für sich allein und in seinem Beziehungsreichtum zu anderen Werken von Kolleginnen und Kollegen einen festen Platz in der Kunstgeschichte gefunden hat. Helmut Sturm ist zweifellos Münchens „Mister Painting“, ohne dass eine solche Charakterisierung den hohen Rang von Künstlern wie Rupprecht Geiger schmälern soll.
Was in Düsseldorf Joseph Beuys, Günther Uecker, Markus Lüpertz, Jörg Immendorf, Klaus Rinke und A. R. Penck, das bedeuten für München Heimrad Brehm, Helmut Sturm, Lothar Fischer, H. P. Zimmer, Hans M. Bachmayer, Florian Köhler, Heino Naujoks, Helmut Rieger, Diri Strauch, Heiko Hermann und Thomas Niggl.
Doch während in Düsseldorf das malerische Brio eines Lüpertz, Immendorf und Penck eher etwas matt geworden ist, lässt sich die leuchtend Frische von Helmut Sturms Werken, gleich in welcher Stelle seines Schaffens, immer wieder von neuem entdecken, bis in seine letzten Arbeiten. Es stellt sich rückblickend heraus, dass Helmut Sturm ohne die Mythisierungen, Stilisierungen, Selbstdarstellungen, Arroganzen und Ideologisierungen, mit denen der Kunstbetreib der letzten fünf Jahrzehnte ja nicht gespart hat, ausgekommen ist. Ganz im Gegenteil hat die blanke, ungeschützt sich aussetzende Suche nach der Wahrheit der Formen und Farben, der Fläche und des Raumes in ihren jeweiligen Beziehungen sowie die Suche nach der adäquaten Vermittlung gegenüber dem Betrachter, den alten und den jungen, zu dem geführt, das wir als besondere Unmittelbarkeit der Darstellung erlebt haben.
Helmut Sturm war nie Künstlerfürst, doch immer Aktivist, so beharrlich wie bescheiden. Kaum einer kann ein kontinuierlicheres Werk aufweisen. Vier Jahre nach seinem Tod ist er künstlerisch hoch lebendig und darin mit wenigen deutschen Malern vergleichbar.
Vergleichen lässt sich sein Werk im Münchener Raum in seinem Rang mit Helmut Pfeuffer und Bernd Zimmer oder dem von österreichischen Malern wie Hubert Schmalix, Gunter Damisch, Siegfried Anzinger und Robert Hammerstiel.
All die künstlerischen, ja teilweise lebensphilosophischen Ausbrüche, die Helmut Sturm angetrieben haben, mit den Gruppen SPUR, Geflecht, Wir, Kollektiv Herzogstraße sowie Bezügen zu ZERO und COBRA, waren eben nicht Foren der Repräsentation, sondern Hilfs- und Stützmittel für die Bewegung, die Sturm sein Leben lang wirklich verfolgte: Die Bedingungen für Entstehung seines Werkes auszuprobieren.
Die Diskussion über ein zu viel oder ein zu wenig an sinnlicher Malerei, über ein Zurück zu ihr oder ein Vorwärts, hat sich bei Helmut Sturm nie gestellt. Er hat mit seinem Schaffen und seinem Engagement ein eigenes Bild gegeben in der Summe seiner Auftritte und Interventionen, das wir alle als seine Freunde schätzten, nämlich das eines hoch kommunikationsfreudigen, freundlich zugewandten, geduldig zuhörenden Künstlers, und in dieser Gefühlsbereitschaft eben nicht nur formale Meisterschaft über all die Jahrzehnte seines Schaffens ausstrahlend.
Wenn Joseph Beuys uns einst vorführen wollte, wie sehr wir alle Künstler seien bzw. sein könnten, so hat Helmut Sturm, was diese soziale Rolle des Künstlers betrifft, uns das Paradox vorgelebt, dass Eigensinn und Gemeinsinn sich kreativ steigern können, dass Individualismus sich im Dialog mit der Gruppe fruchtbar und nachahmenswert verwirklichen kann. Dafür ist ihm heute noch zu danken, dem Künstler und dem Menschen.

Ihnen danke ich für die Aufmerksamkeit!

Elmar Zorn